Rahmenthema
Hispanistik in neuen Umwelten
Digitalisierung ‒ Reinskriptionen ‒ Schnittstellen
Die Aufwertung der historischen Forschungsperspektiven, die Digitalisierung von Daten sowie die Methoden digitaler Auswertung, Aufbereitung und Präsentation haben neue Umwelten für Forschung und Lehre geschaffen. Wo früher oft das Bestreben darin bestand, etwa die meist dann so genannte „Linguistik“ scharf von der „Philologie“ abzugrenzen, führt die Analyse historischer Korpora immer deutlicher vor Augen, wie nutzbringend die Kooperation beider ist. Bloße Zitate ohne Kenntnis ihrer Umwelt – Kotext, Text, Kontext – machen Korpusanalysen problematisch. Durch die Abtrennung der „Linguistik“ von der Philologie, zu deren Grundlagen immer auch die Literaturwissenschaft gehörte, rückten auch Sprach- und Literaturwissenschaft auseinander. Dies bedeutete das Ende einer Stilistik in der Tradition Leo Spitzers, die gleichermaßen sprach- und literaturwissenschaftlich begründet oder begründbar ist.
Nicht zufällig rücken nun aber wieder Schnittstellen in den Blickpunkt der Forschung. Sprachliche Variation ist nicht mehr nur synchronisch interessant, sondern kann auch für diachronische Rekonstruktion methodologisch nutzbar gemacht werden. Auf diese Weise erschließt sich die Forschung neue Kontexte, Umgebungen, sieht sich aber auch den Herausforderungen dieser neuen Umwelten ausgesetzt, zu denen maßgeblich die Digitalisierung zählt. Digitalisierung in der Hispanistik wird hier nicht zuletzt als Reinskription von aus der spanischsprachigen Welt kommenden Inhalten in neue Umwelten konzipiert, was nicht nur die Zirkulation in anderen Kontexten, sondern auch die Relokalisierung philologischer Traditionen oder fach(geschicht)lichen Wissens in neuen Textualitäten bzw. Prozessen mit sich bringt.
Ebenso findet der Begriff Umwelt in der literarischen Forschung Resonanz. Jüngere Entwicklungen der hispanistischen Literaturwissenschaft thematisieren die Ästhetisierung ethischer Dimensionen der Interaktion des Menschen mit der Natur, die Repräsentationen und Funktionalisierungen von Ökosystemen und deren Problematiken (Umweltzerstörung, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, (Umwelt-)Bewusstsein, Nachhaltigkeit).
Der 23. Deutsche Hispanistentag 2021 in Graz setzt diese neuen Umwelten als thematischen Rahmen. Die neuen Umwelten der Hispanistik sowie die Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung sollen dabei durchaus kritisch betrachtet werden. So scheint vermeintlich die Verfügbarkeit digitaler Daten das Lesen von Texten entbehrlich zu machen. Man kann sich auch fragen, ob überhaupt noch erforscht werden wird, was nicht digital aufbereitet ist und digital ausgewertet werden kann. Jedenfalls kann dies als mögliche Entwicklung kritisch diskutiert werden.
Die Universität Graz bietet mit ihrer Romanistik einen spannenden historischen Kontext für die Diskussion. Denn die Schaffung eines modernen Postwesens erlaubte es Hugo Schuchardt, der von 1876 bis zu seinem Tod im Jahr 1929 in Graz forschte, ein umfassendes weltweites Netz, ein www ante litteram, aufzubauen, von dem seine nahezu 14.000 Briefe umfassende Korrespondenz zeugt, die als innovatives Instrument der Datenerfassung und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung diente. Auf andere, aber damit nicht unverbundene Weise, brachte sich der Grazer Romanist Ulrich Schulz-Buschhaus durch sein umfängliches Rezensionswerk in die literaturwissenschaftliche Diskussion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein.